Entenbraten

Eine lokale Freundin liess mir durch ihren Mann eine schöne, weisse Ente überbringen. Da sass sie nun an den Füssen gefesselt, zahm im Korb meines Fahrrades vor unserem Haus. «Was nun?», dachte ich innerlich.

Nur gut, dass ich mir im Voraus bereits Unterstützung besorgt hatte. Eine andere lokale Freundin aus dem Dorf hatte ich gebeten, mir bei der Zubereitung dieses Festmahls zu helfen. Allerdings meinte sie gleich zu beginn, dass in ihrer Familie ausschliesslich die Männer Tiere schlachten. Ok, wen könnten wir so spontan für diese Aufgabe rufen? Da wir unseren Innenhof mit einem älteren Herrn teilen, fragten wir ihn, ob er Hand anlegen könnte. Mit einem schelmischen Lächeln auf dem Gesicht holte er sein Messer aus dem Haus, das er noch schnell am Stein schleifte, legte die Ente mit einem gekonnten Griff zwischen die Füsse, packte sie an den Flügeln und dann erfolgte der tödliche Schnitt.

Fasziniert beobachteten meine Kinder den Vorgang. Nachdem die Füsse aufgehört hatten zu zucken, legten wir den leblosen Körper ins heisse Wasserbad und brachten ihn ins Haus. Dort begann die knifflige Fingerarbeit, das Zupfen der Federn und Säubern der Innereien.

Wie dankbar war ich für die erfahrenen Hände meiner Freundin, sodass es nicht allzu lange dauerte bis der rohe Braten in der Pfanne lag.

Nun folgte noch die typische Fleischfüllung, die es so nur hier im Süden Aserbaidschans gibt: Lavengi, eine Baumnuss-Zwiebel-Mischung, die erst im Fleischwolf zermalmt und dann gemischt und gewürzt wird.

Damit stopften wir den Braten aus und die restliche Masse kochte neben dem Fleisch als Sauce mit. Bald hing ein köstlicher Fleischduft in der Luft. Als traditionelle Beilage reichten wir lokalen Reis genannt Plov.

Etwas durfte nicht fehlen: Auch unserem Privatmetzger brachten wir einen gefüllten Teller. Der staunte, dass wir an diesem Morgen eines seiner Lieblingsessen zubereitet hatten. Einige Tage später überreichte er, als er vom Bazar nach Hause kam, unseren Kindern Nüsse, Früchte und Schokolade. Typisch für das Leben hier: Ein Geben und Nehmen.

ABC des ersten Schultags

Seit Kurzem besucht unser ältester Sohn die 1. Klasse in der lokalen Schule. Mit ihm zusammen lernen wir viel Neues über das Schulsystem. Die 26 wichtigsten Erkenntnisse haben wir für euch zusammengefasst:

A wie Anfang des Schuljahres: Dieser ist normalerweise am 15. September. Allerdings fiel dieser Tag dieses Jahr auf einen Sonntag, daher startete die Schule am Montag, 16. September 2024.

B wie Blumenstrauss: Viele Familien beschenken die Lehrperson zum Schulbeginn mit Blumen.

C wie clevere Kinder: Denjenigen Kindern, die gut mitgemacht haben im Unterricht, klebt die Lehrperson am Ende des Schulmorgens oft einen Stern-Sticker auf die Handoberfläche.

D wie Direktor: Unsere Schule wird von einer Direktorin geführt. Sie hat die neuen 1. Klässler mit einer feierlichen Willkommenszeremonie, bei der die ganze Schule, Eltern und Interessierte anwesend waren, begrüsst.

E wie Elternversammlung: Diese findet tagsüber statt, oftmals am Samstag, daher auch Elternversammlung und nicht Elternabend.

F wie freie Schulwahl: Wir durften die Schule selber wählen und taten dies ganz pragmatisch: Die Schule, die zu Fuss am besten erreichbar ist.

G wie Gedicht: Zu allen Jahreszeiten und besonderen Anlässen werden die Kinder beauftragt, zu Hause ein Gedicht auswendig zu lernen und anschliessend vor der Klasse vorzutragen.

H wie Hausaufgaben: Ja, Hausaufgaben werden auch erteilt.

I wie i oder ı? In der Aserbaidschanischen Sprache gibt es ein İ/i und ein I/ı. Das İ mit dem Punkt wird wie das Deutsche i ausgesprochen und das I ohne Punkt mehr hinten im Hals.

J wie Jahresplanung: Alle offiziellen Feiertage und schulfreien Tage sind im Hausaufgabenheft bereits vor Schulbeginn abgedruckt. Der Stundenplan der einzelnen Klassen wird jedoch erst in der ersten Schulwoche von Tag zu Tag erstellt 🙂

K wie Klassenzimmer:

L wie Lehrmittel: Die Schulhefter müssen die Eltern einkaufen. Unsere Lehrerin verschickte aus diesem Grund im Klassenchat Fotos der Hefter, mit denen sie arbeiten wird. Wir durften dann selbst ausfindig machen, in welchem Laden sie verkauft werden. Nachdem wir fünf Orte abgeklappert und noch immer nicht fündig geworden sind, fragten wir bei der Lehrerin nach. Sie teilte uns dann den Namen des Verkäufers auf dem Bazar mit bei dem wir die Hefter finden werden. Das war in der Tat sehr hilfreich!

M wie Müəllimə (sprich Müällimä): Das bedeutet Lehrerin und so wird sie auch angeprochen: «Hallo Lehrerin» (ohne Vor- oder Nachnamen).

N wie Nationalhymne: Diese wird regelmässig abgespielt und der Text ist in jedem offiziellen Schulbuch auf der ersten Seite abgedruckt.

O wie ordentlich auf dem Stuhl sitzen: Oberkörper gerade, Blick zur Wandtafel gerichtet und die Arme überkreuzt vor der Brust auf dem Tisch.

P wie Pause: In den Pausen, die im Klassenzimmer stattfinden, dürfen die Kinder umhergehen und ihre mitgebrachten Snacks essen.

Q wie Quartal: Das erste Quartal dauert bis zum 8. November. Dann finden dieses Jahr zwei Wochen Herbstferien statt.

R wie Rucksack: Den Rucksack platziert jedes Kind auf seinem Stuhl und setzt sich auf der vorderen Stuhlkante hin. Kulturell wichtig zu wissen ist, dass Rucksäcke und Taschen in Aserbaidschan nie auf den nackten Boden gestellt werden. Dieser gilt als schmutzig.

S wie Schuljahr: Ein Schuljahr dauert normalerweise vom 15. September bis zum 14. Juni.

T wie Tür: In der 1. Klasse werden die Kinder von einer erwachsenen Bezugsperson bis zur Schulzimmertür gebracht und auch dort wieder abgeholt.

U wie Uniform: Das Tragen einer Schuluniform ist Pflicht. Auch diese muss von den Eltern gekauft werden. Zusammen mit den Schulheftern, dem Schreibmaterial und dem Schulrucksack ist das für viele Familien in unserer Stadt ein happiger Betrag. So erstaunt es nicht, dass Kreditfirmen anfangs Schuljahr auch für Schulmaterial Kredite vergeben.

Uniformvorschriften für die Knaben

V wie Verbundschrift: Bereits in der 1. Klasse wird die Verbundschrift eingeführt.

W wie w ist weg: Gut zu wissen, dass dieser Buchstabe im Aserbaidschanischen Alphabet nicht existiert.

X wie Xadimä: Das aserbaidschanische X wird wie ein deutsches CH ausgesprochen, also sprich Chadimä. Das sind die treuen Putzfrauen, die im Flur sitzen und aufpassen, dass alles mit geregelten Dingen zu und hergeht und nach dem Unterricht die Zimmer säubern.

Y wie Yes: Englisch ist bereits in der 1. Klasse auf dem Stundenplan.

Z wie Ziel: Für uns als Schweizerfamilie ist das Ziel des lokalen Schulunterrichts in erster Linie, dass unsere Kinder die Aserbaidschanische Sprache lernen und lokale Freunde finden dürfen. Nebenbei unterrichten wir sie mit Fernschulmaterial zu Hause in Deutsch und Mathematik. Und sehr Vieles lernen sie ja sowieso ausserhalb des Schulzimmers.

Sommer in unserer Stadt

Gehört haben wir viel davon, erlebt erst jetzt, wie anders das Leben in unserer Stadt im Sommer ist.

Auf dem Bazar ist die Auswahl an frischen Früchten und saftigem Gemüse so reichhaltig wie sonst das ganze Jahr nie. Gleichzeitig bringt diese Fülle besonders für die Frauen viel Arbeit mit sich, denn jetzt werden die Früchte zu Saft und Marmelade verarbeitet und das Gemüse für den Winter eingemacht.

Beispielsweise wird aus getrockneten Alça-Früchten in einem aufwändigen Verfahren Turşu gekocht. Das ist eine leckere Marinade fürs Fleisch.

Auch für die Weidetiere bringt das wärmere halbe Jahr eine willkommene Abwechslung auf ihrem Speiseplan. Das frisch geschnittene Gras wird auf unterschiedlichste Arten transportiert. Dieses Fahrzeug hat seine Ladung bei uns im Garten abgeholt.

Eine weitere Sommertätigkeit ist das gründliche Waschen der Teppiche. Diese werden anschliessend getrocknet und danach zusammengerollt im Haus aufbewahrt. Wenn die Temperaturen im Herbst wieder sinken und es kälter wird, dann werden sie gerne wieder ausgerollt.

Bei den feuchtheissen Sommertemperaturen ist ein erfrischendes Bad im Meer sehr willkommen. Am Ufer des Kaspischen Meeres werden unzählige Sitzgelegenheiten aufgebaut, die zum Tee trinken und Verweilen einladen. Das Wasser ist angenehm warm und der dunkle Sand hier im Süden ist voller Mineralien, die dem Körper gut tun.

Wenn die Temperaturen gegen Abend etwas sinken, dann beginnt die Spielzeit. An vielen Strassenecken stehen kleine Tische, an denen sich die Männer bei einer Tasse Tee ins Spiel vertiefen. Besonders beliebt ist das Brettspiel «Nərd», das grosse Ähnlichkeiten mit Backgammon aufweist.

Was macht die Gazelle im Strassenverkehr?

In unserem letzten Beitrag „ÖV-Knigge“ haben wir euch gefragt, wieso eine Marschrutka auch Gazelle genannt wird. Danke für alle Beiträge! Da kamen ein paar gute Ideen zusammen. Hier eine Auswahl:

Also, der Bus heisst bestimmt Gazelle, weil er aussieht wie eine ramponierte Gazelle nach einer kräfteraubenden Flucht vor einem Raubtier. Die Jagd durch Dornbüsche, über Steine und am Ende schwimmend durch eine mit Wasser geflutete Furt hat ihre Spuren hinterlassen. Und dennoch: Flink, zielgerichtet und verlässlich davongekommen! – Marianne

Da der Bus nun mal gar nicht wie eine Gazelle aussieht, sondern eher gegenteilig, plump und schwerfällig, braucht sie einen Namen , der einen zum Schmunzeln bringt, damit man mit Humor die vielleicht eher holprige Fahrt mitmacht. – Pia

Gazelle passt, weil der Bus über Schlaglöcher hüpft. – Thomas

Was ist nun der tatsächliche Grund, dass diese Minibusse Gazellen genannt werden? Heute fahren hauptsächlich solche Minibusmodelle durch die Strassen, wie auf dem obigen Bild. Hingegen wurden früher anscheinend viele Minibusse von einem russischen Automobilkonzern namens GAZ verwendet. Dieser hatte ein Minibus im Angebot, welche GAZelle genannt wurde, also ein Wortspiel mit dem Firmennamen. Diese Modelle fahren nur noch selten in Aserbaidschan. Jedoch wird bis zum heutigen Tag in der Alltagssprache in unserer Stadt das russische Wort „GAZel“ für diese Minibusse verwendet.

ÖV-Knigge

Mit eng angewinkelten Beinen sitze ich auf dem Sitz in der Marschrutka und beobachte, wie die restlichen Passagiere einsteigen und sich ihren Platz suchen. Ich stelle mich darauf ein, dass es noch eine Weile dauern kann, bis wir losfahren. Unterdessen ist der Bus gut gefüllt, zwei Plätze auf der Rückbank sind noch zu haben. Eine Frau mit schwer beladenen Einkaufstaschen vom Bazar wirft einen Blick zur Tür hinein und überlegt, ob sie noch mitfahren möchte. Der Chauffeur ermutigt sie einzusteigen, denn Platz hat es noch. Ihr Gepäck soll sie direkt neben der Tür hinstellen. Wird sie sich auf die Rückbank neben die einzigen drei männlichen Passagieren quetschen oder doch lieber im Gang vorne stehen bleiben? Wie ich innerlich vermutet habe, entscheidet sie sich für den Stehplatz, denn die ungeschriebene Regel ist, dass die hinterste Reihe den Männern vorbehalten ist.

Neben dieser Regel gibt es noch andere Benimmregeln, welche du wissen solltest, bevor du im Süden Aserbaidschans in den öffentlichen Verkehr steigst.

  • Die Marschrutka fährt erst los, wenn ziemlich alle Plätze gefüllt sind, denn der Chauffeur verdient sein Geld mit jedem einzelnen Passagier.
  • Fahrplan? Den gibt es hier nicht. Wer geduldig am Strassenrand wartet, wird meistens irgendwann belohnt.
  • Frauen sitzen im vorderen und die Männer im hinteren Teil des Busses.
  • Schwangere Frauen, Reisende mit kleinen Kindern und älteren Leuten wird sofort ein Sitzplatz angeboten.
  • Männer bieten ihren Sitz Frauen an, mit Ausnahme der hintersten Reihe in der nur Männer sitzen.
  • Jeder Passagier bezahlt das Geld für die Fahrt beim Aussteigen direkt an den Chauffeur.
  • Auf jeder Busstrecke sind nur wenige Haltestellen gekennzeichnet. Allerdings kann der Bus jederzeit mit einer einfachen Handbewegung herbeigewunken werden. Zum Aussteigen wird dem Chauffeur im Bus zugerufen, wo er anhalten soll.
  • Vielfach wird die Marschrutka auch Gazelle genannt. Warum wohl? Schreibe deine Idee als Kommentar hin. Auflösung folgt später.

So, mit diesen Tipps wünsche ich dir eine gute Fahrt. Oder «Yaxşı yol» (z. Dt. yachsche yol), wie man hier sagt.